Ein ungewisses Leben mit Epilepsie?

Ich glaube nicht dass Epilepsie ein Unheil oder ein vermeintlicher «Weltuntergang» ist. Eine kurzzeitige Störung des Gehirns ist zwar ein  schlimmer Vorfall im Leben eines Epileptikers, aber noch lange kein Grund in seinem ganzes Leben darüber zu verzweifeln.

 Ich weiss dass es ganz schlimme Fälle der Epilepsie gibt, diese Leute müssen sogar rund um die Uhr versorgt werden, aber das ist ein kleiner Prozentsatz der Epilepsiekranken. Ca. 70 % sind mit Medikamenten anfallsfrei und 10 % sind Medikamentenresistent, können aber trotzdem einigermassen zurechtkommen obwohl sie ab und zu einen Anfall bekommen. Ungefähr 5% sind durch eine Operation nahezu anfallsfrei. Aber diese nicht anfallsfreien 30% sind eben in den Epilepsieforen im Internet vertreten und da ist eine gewisse Verzerrung der ganzen Kommentare der Krankheit vorhanden. Diese «anfallsfreien» (immerhin 560 000 von 800 000 Epileptikern in Deutschland) fühlen sich gesund und sie leben entsprechend auch ganz «normal» aber sie outen sich nicht. Es nehmen also 70 % aller Epileptiker in Deutschland Medikamente ein von denen niemand etwas weiss. Allerdings sind da viele Leute dabei, die ihre Medikamente nicht regelmässig nehmen und ärgern sich dass wieder ein Anfall gekommen ist.

 

Haarsträubende Vorurteile sind immer noch die Regel in der Bevölkerung: Das ist eine Geisteskrankheit, vererblich, ansteckend etc. und sie hatte auch verschiedene Namen: Fallsucht, dämonische Krankheit, Strafe Gottes. Aber sie wurde auch als heilige Krankheit bezeichnet. Dazu kommt noch die traurige Tatsache, dass Epileptiker in der NS-Zeit als nutzlose Mitesser eingestuft und in den verschiedenen Anstalten vergast wurden. Das sitzt heute noch als «Weitergabe» unserer Ahnen und Urahnen in unseren Gehirnen und Genen.

 

Aber dies war nur die negative Seite unserer Krankheit, es gibt genügend gute Seiten, man muss halt auch über eigene Hürden springen und andere Wege gehen.  Die meisten denken nur über ihre eigene Krankheit nach, wie wäre es denn wenn man mal über anderer Leute Krankheiten nachdenken würde? Ueber Blinde, Taubstumme, Behinderte jeglicher Art, Herzkranke, Asthmakranke, Diabetes-, Aids- oder Krebskranke ist mehr bekannt. Da spricht man darüber, deshalb hat man da auch weniger Scheu. Aber diese Leute sind sehr oft schlimmer dran als wir, die haben genau so viel Aengste wie wir. Aber die Oeffentlichkeit zieht hier unsichtbare Grenzen. Unsere Krankheit erzählt man nicht, sie ist tabu.                                                                                             Dabei hat ein gut eingestellter Epileptiker gute Chancen ein gutes Leben zu führen, er müsste eigentlich dankbar sein, dass er nur Epilepsie hat. Man kann zwar nicht mehr alles tun, aber sehr vieles. Und bei diesen vielen verbliebenen Möglichkeiten muss man eben das richtige finden. Manche sagen, der hat leicht reden. Der hat bestimmt eine leichte Art der Epilepsie. Nein das habe ich nicht, ich habe eine generalisierte tonisch klonische Epilepsie (Grand mal).  Ich musste mein Leben auch so planen, dass gewisse Dinge nicht machbar waren. Das ist am Anfang sehr schwer und gerade junge Menschen möchten ja gerne ihre normale Lebensqualität behalten. Bei mir war es auch so, dass ich verschiedene Therapiewege suchte und auch im persönlichen Umgang sehr vieles «ausprobierte».

 

Natürlich sind chronisch Kranke (dazu zählt Epilepsie) eingeschränkt, sei es im Beruf oder im öffentlichen Leben. Doch es ist durchaus machbar, wenn man einiges  beachtet.

 

Man sollte erst einmal richtig abklären was für Anfälle man hat. Habe ich fokale, oder generaliserte Anfälle. Treten sie unverhofft auf, oder sind sie zeitlich begrenzt? Bin ich medikamentös gut eingestellt? Nehme ich regelmäßig meine Medikamente? Auch wäre ein akzeptieren der aktuellen Lage von allergrößter Wichtigkeit. Das alles geht aber nicht ohne Anstrengung und teilweisen Verzicht der bisherigen Gewohnheiten. Es ist oft der Fall, dass man nach Lebenskrisen gestärkt werden kann und dabei ungeahnte, neue Kräfte freigesetzt werden können.                                   

 

Wenn diese Punkte eingehalten werden, ist eigentlich das wichtigste getan. Man kann sich aber auch durch gute Epilepsie-Bücher selbst aufklären, das kann ungeheuer helfen die Krankheit genauer kennenzulernen. Die Krankheit zu akzeptieren, sie als Teil seines Lebens zu betrachten ist hier ganz wichtig. Das ist zwar sehr schwierig, denn auch hier muss man eine Hürde überwinden. Man brauch Willenskraft, Durchhaltevermögen und vielleicht auch Hilfe von anderen Menschen. Ich hätte es ohne meine Familie auch nicht geschafft aus dem depressiven Loch wieder herauszukommen. Ich hatte durch Epilepsie meine Arbeitsstelle nach 20 Jahren verloren, da kam ich mir danach unnütz vor. Aber mein Umfeld war sehr einfühlsam und geduldig. Dafür möchte ich jetzt noch Danke sagen. Ich fand nach einiger Zeit andere, bessere Wege, mich zu engagieren.

 

Durch meine Kenntnisse über die Krankheit Epilepsie beschritt ich neue Wege, sie waren schwerer, ungewisser, aber es musste ja weitergehen. Ich begann eine Selbsthilfearbeit über Epilepsie, aber es war schwer den Anfang zu schaffen. Durch starken Willen, Ehrgeiz und Mut konnte ich eine Epilepsie-Selbsthilfe-Gruppe gründen. Das war in unserem Dorf neu, man wusste nichts von Epilepsie. Und wenn sie etwas wussten, waren es Vorurteile oder Aberglaube. Viele halten Epileptiker für dumm, abnormal eben nicht zur «normalen» Gesellschaft passend. Und solchen Unsinn mussten wir bekämpfen, aufklären war unsere Devise.  Man musste sich immer um den neuesten Erkenntnissstand der Epilepsieforschung kümmern. So eine Arbeit machte mir Spass weil es mich interessierte, obwohl ich alles ehrenamtlich machte. Jeder kleine Erfolg, sei es in der SHG oder in Informationsabenden, stärkte mein Selbstbewusstsein. Es ist wie eine neue Welt, ja ich habe durch die neue Beschäftigung wieder einen Inhalt in meinem Leben gesehen. Ich habe einen Berg bezwungen und eine neue wunderschöne Sichtweise bekommen.

 

Kaum einer weiß, wie viele Anfallskranke berühmt, ja sogar berüchtigt, waren. Die Liste berühmter Epileptiker liest sich wie ein Gruselkabinett der Weltgeschichte. Von Kriegshelden über Dichter, Maler bis zu Künstler und Erfinder.

 

Julius Cäsar, Jeanne Dàrc, Napoleon, Beethoven, Alfred Nobel, Pythagoras, Alexander der Große, Richelieu, Lenin, Socrates, Dostojewski, Flaubert, Leonardo da Vinci, Michelangelo, Van Gogh, Edison, Moliere u.v.a.                             

Ich will aber unbedingt bemerken,  dass sich unter den "prominenten Epilepsiekranken" kaum Frauen finden, liegt nicht daran, dass die Epilepsie bei Frauen - statistisch gesehen - etwas seltener ist als bei Männern (48 zu 52), sondern an den gesellschaftlichen Verhältnissen: Die Frauen hatten es . in früheren Jahrhunderten - ungleich schwerer, "prominent" zu werden als die Männer.

 

Wie man deutlich sieht, hatten auch Genies und andere bedeutende Menschen Epilepsie.  Man kann sagen, dass man auch mit Epilepsie durchaus zu ausserordentlichen oder genialen Leistungen fähig ist. Auch wenn ich nicht zu den Genies gehöre gefällt es mir, dass ich in gewisser Weise zu ihnen gehöre.

 

Man kann also durchaus sagen, dass Epilepsie keine Ungewissheit ins Leben bringt. Es liegt zum grössten Teil an einem selbst, wie man die Schwierigkeiten meistert.

 

Ich wünsche Euch viel Mut und Kraft

 

Euer Dieter Schmidt

 

 

 

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Kommentare: 3
  • #1

    Anja Zeipelt (Freitag, 21 Juni 2019 09:14)

    Sehr schön geschrieben, Dieter.
    Der eine oder andere Satz kam mir bekannt vor und ich freue mich, dass Du diese Sätze so verinnerlicht hast. Das zeigt, wie wichtig unsere Arbeit ist und das sie vielleicht doch hängenbleibt. Ich würde mich noch mehr freuen, wenn auch die Leser Deines Blogs das Eine oder Andere verinnerlichen und dann auch ihrerseits weitergeben würden. Das wäre dann der gewünschte Effekt mit der maximalen Wirkung.
    Weiter so! :-D

  • #2

    Dieter (Freitag, 21 Juni 2019 10:19)

    Danke Anja, Du weisst ja, dass ich erst durch Deine Arbeit und Deinen Rat anfing so etwas zu machen. Das kann eigentlich auch als Beispiel für Andere gelten, denn jeder hat Fähigkeiten sich auszudrücken. Es ist immer mein Ziel Anderen zu helfen, aber ich dachte nicht, dass es sooo schwer ist. Der Wunsch alles in die Oeffentlichkeit zu bringen ist nach wie vor da, aber der Erfolg ist nicht so gross. Die Windmühlen sind sehr stark, man brauch immer wieder einen Anschub (und den gibst Du mir öfters). Dafür danke ich Dir! Epilepsie ist halt ein "Stiefkind der Aufklärung", und für viele wird sie negativ gesehen. Aber wir werden weiter kämpfen, denn es tut gut positive Meinungen zu erfahren. Dir wünsche ich auch einen Erfolg Deiner Anstrengungen (Y)

  • #3

    Mutti von Betroffenem (Montag, 05 August 2019 21:06)

    Du schreibst es sehr schön. Vor allem das mit der Lebenskrise. Bei meinem Sohn kam einiges Zusammen. Trennung, Pubertät und Epilepsie. Es hat 3 Jahre gedauert ehe er stabiler wurde und anfängt seine Erjrankung anzunehmen und entsprechend zu handeln. Geholfen hatvigm unabdingbare Liebe. Mitschüler und Freunde, die ihn beschützt und nicht ausgegrenzt haben- so wie seine Lehrer das Gegenteil taten! Auch er gehört zu den rherapieresistenten, was immer das bedeutet- im Prinzip nur, dass gegen seine Art, die ideopatisch bleibt nur kein Mittel zur Verfügung steht... Wichtig wsrcundcist ein Unfeld was ihn hält, liebt und stärkt. Das gibt genug Eigenkraft um aus der erstmaligen Dunkelheit der Zikunft ins Licht zu treten und nicht aufzugeben!