Interview mit Dr. Hanna Hartmann und Dieter Schmidt über das Thema: Entstehung der Selbsthilfegruppen und hier speziell Epilepsie SHG

 

 

Gesprächtranskript:

 

 

Sprechersiglen: HH: Hanna Hartman; DS: Dieter Schmidt (ende 2009)

 

HH:      meine eingangsfrage wäre  , wie sie zu der selbsthilfe allgemein gekommen sind;       

 

DS:      zur selbsthilfe bin ich (erst) gekommen, nachdem ich  in rente war

 

HH:     0k                                                                                   

 

DS:      Ich konnte ja trotz Epilepsie bis zu meinem 59. Lebensjahr  normal arbeiten.   Aber  mit 55

 

            Jahren bin auch durch   diese nebenwirkungen der medikamente kränklich

 

            geworden.dann bin ich nach weissenau  zur Medikamentenumstellung gegangen

 

HH:     da ist dieses Epilepsiezentrum?

 

DS:      ja und dort war ich  eine ziemlich lange zeit  und   habe  neue tabletten bekommen. Diese

 

           zeit war sehr hart.  Durch ergotherapie , muskelentspannung und persönliche gespräche

 

           befasste  ich mich   mit der ganzen epilepsieproblematik..

 

HH:     also in weissenau dann? oder allgemein?

 

DS:      In weissenau hat man mir wege der krankheitsbewältigung aufgezeigt.

 

HH:      ok

 

DS:      ich habe ja schon in den  23 wochen die ich 2002 dort  war,     krankheitsbewältigung

 

            gemacht.  ich habe nicht  gewusst, welche Wege möglich waren und wie sie realistisch

 

    machbar sind. es hat geheißen die krankheit   kann man nicht bloß verdrängen oder

 

    einfach nur fragen warum hab das bloß ich und nicht die andern? In dieser zeit konnte ich

 

           endlich meine Krankheit verinnerlichen und akzeptieren. Epilepsie gehört inzwischen zu

 

           mir. Ich sage mir, einmal im monat bin ich 1 tag down, aber die übrige zeit ist relativ gut,

 

           und das ist für mich in ordnung..

 

HH:      ok

 

DS:      und   2006 kam ich wieder nach w. zur tablettenoptimierung und da war ich ja fitter    da

 

            haben mich die   (ärzte/ärztin) dann also richtig gedrängt,  ja praktisch  überredet

           

            die selbsthilfegruppe aufzubauen (ich hätte ja 50jährige Erfahrung und könnte

 

            vielen Epileptikern weiterhelfen)  und  ja dann habe ich gesagt ok ich probiers 

 

HH:     also wurde ihre gruppe quasi gegründet aufgrund der ärzte? (.) die ärzte sind auf sie

 

            zugegangen?

 

DS:       die ärzte haben mich ermuntert

 

HH.     mh: die ärzte haben ihnen das gesagt?

 

DS:      die ärzte haben das gesagt ja und auch die ergotherapeuten das war 2006 im frühjahr und

 

            dann habe ich im sommer in reutlingen eine zeitungsannonce aufgegeben und   zettel bei

 

            denn arztpraxen  ausgehängt,  . das  sollte uns helfen, eine selbsthilfegruppe zu gründen .

 

            es sollten sich eben betroffene und interessierte  melden   und dann hat sich innerhalb

 

            eines vierteljahres ein einziger gemeldet. Mir wurde aber auch gesagt dass der start

 

            schwierig werden kann.

 

HH:      die resonanz war nicht sehr groß

 

DS:       die resonanz war  sehr sehr dürftig

 

HH:      [ja]

 

DS:      und dann bin ich  im internet auf eine seite gestoßen. das war die epilepsieforumsseite

 

            und da hab ich halt mal rein geschrieben dass ich eine gruppe gründen möchte und

 

            fragte, ob im raum reutlingen jemand wäre, der interesse hätte. eine halbe stunde später

 

            hat schon einer geantwortet ((lacht))

 

HH:      ist ja der wahnsinn

 

DS:      der hat gesagt, zufällig wohne er auch in reutlingen  ist ja toll, wo treffen wir uns . und das

 

            war dann der erste unserer gruppe

 

HH:      also der mitbegründer dann auch?

 

DS:      ja  der mitbegründer. meine frau war sowieso immer dabei. 2 monate später kam dann

 

            der frank  dazu   und dann waren wir schon zu viert . mit vier stammleuten haben

 

            wir dann praktisch schon unsere erste maiwanderung gemacht, da waren dann also

 

            freunde von uns dabei.   das war schon einmal eine aktion .  aber im  oktober

 

            haben wir dann mit dem doktor m. unseren ersten informationsabend geplant. Wir

 

            wollten ein grösseres umfeld erreichen

 

HH:      sehr verständlich

 

DS:       wir machten unseren 1. informationsabend mit dem thema „epilepsie was nun“

 

HH:      mit diesem arzt eben zusammen?  

 

DS:        ja der arzt sollte das medizinisch erklären, was sich bei epilepsie alles auf sich hat . ja da

 

             waren dann fünfzig leute da , gleich am ersten abend. Aber wir waren ja alle blutige

 

             Anfänger . Da ging einiges schief, aber der arzt hat da viel geholfen.

 

HH:      fünfzig?

 

DS:       ja und wir sahen dann schon, da war  bedarf da

 

HH:      und sie haben dann an diesem infoabend gesagt dass sie eine selbsthilfegruppe

 

            aufmachenund wo man sich trifft?

 

DS:      ja das die selbsthilfegruppe schon besteht, aber dass das der richtige start eigentlich jetzt

 

            erst ist

 

HH:      mh ok

 

DS:      dann haben wir gesagt gut ok klappern gehört zum geschäft, also muss man  viel

 

            pressearbeit machen, damit wir im stadtgebiet bekannt werden. Man muss auch

 

            regelmäßig etwas tun, wenn man nichts macht, dann ist nichts

 

HH:      auch jetzt weiterhin noch oder?

 

DS:       ja also man muss immer wieder regelmäßig was tun 

 

HH:      toll

 

DS:       nach dem infoabend  kamen dann das nächstemal  vierzehn leute

 

HH:      in ihre selbsthilfegruppe?

 

DS:       an dem gruppenabend

 

HH:      ok (.) und haben die ärzte ihnen denn auch adressen gegeben an die sie sich dann

 

             wenden können (.) wie man eine selbsthilfegruppe aufmacht oder

 

DS:       sie haben mir die vom landesverband gegeben aber mit denen war ich eigentlich auch

 

             schon vorher  gut bekannt

 

HH:      haben sie sich privat vorher auch mit befasst?

 

DS:       Wir haben uns in der tübinger gruppe   kennengelernt. Dort war zufällig der vorstand des

 

            landesverbandes .   ich konnte durch diese hilfe meine gruppe zügig aufbauen. bei ihr

 

            habe ich viel gelernt  und deswegen ging  es an für sich relativ flott .  allerdings muss ich

 

            sagen unsere gruppe ist eine positive gruppe. die ist glücklicherweise mit leuten besetzt

 

            die  richtig kreativ sind, also nicht bloß leute die rumjammern, sondern auch leute die

 

            etwas machen wollen

 

HH:      mh (.) die sich auch engagieren wollen

 

DS:       [ja]

 

HH:      sie haben gesagt dass sie auch in tübingen in einer selbsthilfegruppe waren

 

DS:     da geh ich jetzt noch hin

 

HH:    aha ok

 

DS:     das läuft also parallel mit unserer gruppe

 

HH:      [ok]

 

DS:       ab und zu kommen die zu uns und ich geh zu denen

 

HH:       [mh ok] und ist ihre selbsthilfegruppe ein eingetragener verein?

 

DS:       nein, wir sind eine normale gruppe,  wir dürfen auch keine spenden entgegen nehmen

 

            offiziell ((lacht)) hahaha

 

HH:      ((lacht)) mitgliedsbeiträge haben sie nicht oder?

 

DS:       nein nein

 

HH:      ok (.) sind die dann auch keinem landesverband oder bundesverband angeschlossen?

 

DS:       doch, dem landesverband , dort sind wir auch mitglied

 

HH:      im landesverband

 

DS:       das ist unser träger ja

 

HH:      ok (-) und sie haben ja auch schon gesagt das so regelmäßig immer zwölf bis fünfzehn

 

             sechzehn leute kommen

 

DS:       ja , das kommt auch manchmal darauf an  ob zum beispiel   urlaubszeit ist , über

 

            Weihnacht  und dreikönig ist immer flaute

 

HH:      [ja klar] ((hustet))

 

DS:       da läuft fast nichts

 

HH:      wie ist ihre gruppe vom alter her 

 

DS:       ja also der jüngste ist 28 bei uns  und ich bin der älteste

 

HH:      ok

 

DS:       bin 68 also das ist ein ganz schöner unterschied

 

HH:      das ist ein großes spektrum ja (.) und vom geschlecht her ist es bunt gemischt?

 

DS:       [ja, ja ]  ist gemischt ja                                                                      

 

HH:      mh und  von der teilnahme her   kommt immer so ein regelmäßiger stamm 

 

DS:       [ja, ja] also der regelmäßige stamm sind zehn leute (.) und dann die anderen vier das sind

 

            wechselkandidaten kann man sagen

 

HH:      mh und neue ungefähr hängt wahrscheinlich davon ab wie sie gesagt haben ob man

 

            gerade in der presse ist oder nicht, ja manche die kommen ein zweimal die holten sich

 

            unterlagen , informationen und das wars dann auch, das kommt öfters vor

 

HH:      mh (-) fühlen sie sich dann irgendwie ausgenutzt in anführungsstrichen

 

DS:      ja am anfang war es schon ein bisschen blöd weil wir haben ja gedacht, die neuen leute  

 

           wollen kommen, aber man hat sich dran gewöhnt inzwischen. das sind einfach leute

 

           die wollen wissen wie das funktioniert. Sie oder ihre angehörigen haben ja auch

 

           die krankheit  und die wollen halt wissen was sie machen können (.) wie sie helfen

 

           können und so weiter und wenn sie das dann haben dann kommen die nicht mehr

 

HH:      ok (.) aber mittlerweile können sie damit umgehen

 

DS:       ja ja (.) ich sag ja immer wieder wir sind inzwischen bessere spezialisten als die

 

            neurologen, die haben ja nur eine brenzte Zeit für ihre patienten. Bei uns ist

 

            das anders, weil wir eben zuhören und auf die fragen eingehen und auch

 

            zeit haben.

 

HH:      also die menschen  kommen zu ihnen teilweise zur informationsbeschaffung, 

 

DS:       hauptsächlich um sich, ich sag immer um sich auszukotzen ((lacht))

 

HH:      ((lacht)) muss auch sein (.) also quasi um frust los zu werden (.) zum frustabbau

 

DS:      was sie sonst nirgendwo erzählen, können sie bei uns loswerden. also zum beispiel kommt

 

            jemand und sagt, mir gings so dreckig ich hab wieder ein anfall gehabt, mitten im

 

            laden und die leute standen rum und haben geglotzt und so weiter so was wird erzählt  

 

HH:     [mh]

 

DS:      und mit dem werden wir konfrontiert und da sagen wir halt, nun gut das  ist halt so,  das

           

            sind  leute die keine ahnung haben und nicht wissen, wie man sich in so einem fall

           

            verhält, ich glaube auch dass sie angst haben

 

HH:      [mh] und sie haben auch das gefühl dass es für die leute etwas anderes ist mit

 

            betroffenen zu reden als eben mit angehörigen  und verwandte

 

DS:      ja, das ist so. wir sprechen in einem geschütztem raum, da wird ganz offen gesprochen.

 

            die angehörigen sind sowieso immer dabei,

 

HH:      sind immer mit dabei?

 

DS:      ja ja (.) bei der krankheit ist es wichtig, dass angehörige  dabei sind. weil wenn ein

 

           epilepsiekranker mensch einen anfall hat dann ist er ja nicht bei bewusstsein also ist er an

 

           andere praktisch  angewiesen  um zu wissen was ist in der zeit passiert . wenn ich mal

 

           geschwind weggetreten bin dann erzählt mir meine frau: na ja, du bist da rum gelaufen

 

           und hast Kaffee gemacht aber es war kein filter in der kaffeemaschine drin und lauter so zeug ((lacht))

 

HH:      [ok] das heißt aber nicht dass jeder einen angehörigen mitbringt sondern jeder kann für

 

            sich entscheiden ob er will

 

DS:       [ja klar]

 

HH:      aber häufig sind welche dabei?

 

DS:       häufig sind welche dabei auch wegen dem fahren (.) weil die meisten dürfen nicht fahren

 

HH:     [dürfen nicht auto fahren] und ihre treffen laufen wie ab? (.) ich glaub sie haben schon

 

            einmal kurz erzählt sie sitzen um einen tisch und jeder erzählt erst einmal am anfang

 

            wie´s ihm geht

 

DS:      am anfang ist es so, da wird erst einmal gesagt was in den letzten vier wochen alles ab

 

            ging wo man überall war (.)  was man alles gemacht hat und äh dann sagt man

 

            wenn neue leute da sind macht man schnell eine vorstellungsrunde also jeder sagt

 

            seinen namen und sagt wie alt er ist (.) und  wenn das dann rum ist, dann darf jeder

 

            seine sorgen erzählen auch wieder nach der reihe

 

HH:      auch wieder nach der reihe?

 

DS:      also das ist kein zwang sondern nur wenn er will (.) ich habe also schon ein paar mal erlebt

 

            dass eine nicht konnte, die war so down, die wollte nichts erzählen und dann habe

 

            ich einfach gesagt, ok das ist akzeptiert

 

HH:      und haben sie dann auch ein zeitlimit   (  )

 

DS:      ja weil manche sind ja so im erzählen drin dass sie nicht mehr aufhören (.) und da sagen

 

            wir also komm (.) wenn einer das erste Mal da ist dann darf er mehr erzählen weil der

 

            ist ja neu aber bei denen die regelmäßig kommen, zehn minuten

 

HH:     ok habe sie dann ne uhr?

 

DS:      oh da sagen wir einfach so du das reicht jetzt  ((lacht)) lass mal die anderen ran (.) da sind

 

            wir dann schon ein bisschen lockerer

 

HH:      [ok] man stellt sich nur irgendwie vor dass das probleme geben kann oder die stimmung

 

DS:      es kommt manchmal auch vor des welche  dem anderen gegenüber fast beleidigend sind 

 

            da muss man praktisch einschreiten und klar sagen, dass hier ein erfahrungsaustausch

 

            stattfindet und keine persönlichen angriffe stattfinden

 

HH:      ja deswegen dass stelle ich mir nämlich auch schwer vor

 

DS:       [ja ja]  ich sag ja, da muss man fast psychologe sein (-) und ich hab ja keine ahnung von

 

             psychologie he he ((lacht))

 

HH:      manchmal muss man vielleicht auch so ein bisschen auf sein bauchgefühl achten

 

DS:       ja ja

 

HH:      die leitung der selbsthilfegruppe haben sie dann immer oder?

 

DS:      das ist so,  der frank  ist der zweite mann und  ich konnte ein Mal nichts machen weil ich 

 

            ohrenschmerzen hatte,. Ich hörte sehr schlecht und da sprang der frank ein. also wir

 

            können uns austauschen das geht

 

HH:      ok (.) und dann immer anderthalb bis zwei stunden treffen sie sich haben sie gesagt

 

DS:      ja also maximal zwei stunden und dann ich ist das treffen und  offiziell zu ende, wenn

 

            dann noch einer mit dem anderen reden will ist das  kein problem, vielleicht ist noch

 

            wichtig zu wissen .  an dem abend  wird noch gesagt das es zu  trinken gibt (.) weil die

 

            leute die diese krankheit haben die nehmen viele tabletten und deshalb muss man viel

 

            trinken ((…)) und deswegen stellen wir immer saft und wasser hin und das wird bezahlt

 

HH:     und sie hatten vorher auch schon gesagt sie waren mal wandern (.) so was machen sie

 

            dann auch zusammen (  )

 

DS:       [ja ja] wir machen im mai immer einen wandertag

 

HH:      mh sie haben auch mal gemutschelt 

 

DS:       ja das ist natürlich separat (.)  also wir machen immer am ersten Donnerstag nach dem

 

             dreikönigsfest im Januar einen mutscheltag  ((…)) und da machen wir an dem abend

 

             eben ein würfelabend und sonst nichts da ist also die krankheit tabu

 

HH:      wie werden die abende und informationstage finanziert?

 

DS:       wir bekommen von der dak und von der aok  projektförderung und pauschalbeträge  das

 

            sind eben kosten die im jahr anfallen. da muss man  halt jedes jahr einen antrag stellen.

 

            Und da sind natürlich auch die Kosten für die Referenten dabei 

 

HH:      ok

 

DS:       des sind ungefähr 500 euro die  wir im jahr kriegen

 

HH:      das ist sogar gesetzlich geregelt

 

DS:        ja die müssen das sogar geben ja, ja

 

HH:      des ist aber noch gar nicht so lange

 

DS:       ja seit zwei jahren glaub

 

HH:      ok und essen tuen sie nicht?

 

DS:       meine frau bringt ab und zu was zum knabbern mit

 

HH:     sonst treffen sie sich privat mit leuten aber das sie feste aktivitäten immer noch neben de

 

            gesprächstreffen machen haben sie nicht oder?

 

DS:      ja doch wir haben zum beispiel aktivitäten gehabt wenn wir seminare haben vom

 

           landesverband (-) äh: irgendwelche informationsabende bei anderen gruppen, oder jetzt

 

           haben wir ja die aktivität gehabt bei der spur der erinnerung (gedenken an die

 

           euthanasieopfer im 2. Weltkrieg)  da waren wir auch dort mit fünf leuten und das ist alles

 

           so nebenher

 

HH:      mh

 

DS:      ja aber da sorg ich dafür dass wir das machen (.) und ich bin froh, dass viele von uns

 

            mitmachen. 

 

HH:      muss man dann initiieren dass die anderen dann mitziehen

 

DS:       [ja,ja]   

 

HH:     vielen dank für das gespräch

 

DS:     sehr gerne