Epilepsiebehandlung 1940 bis 2020

Verhalten der Menschen 1940

 «»»»»Versuch die zwei Generationen vor uns zu verstehen:

 Ich habe bis zum jetzigen Zeitpunkt die Jahre 1941-2020 erlebt. Als ich gerade 3½ Jahre alt war, endete der zweite Weltkrieg. Von den Kriegsjahren bekam ich sehr wenig mit, nur dass meine Mutter meine Schwester und ich 1945 von unserer Heimatstadt Lundenburg (heutiges Breclav in der CSSR) vertrieben wurden.

Bei Heidelberg fanden wir eine neue Heimat.Nur bruchstückhaft und sehr vage kann ich mich an diese Zeit erinnern. Dass ich meine Kindheit, später meine Jugend- und Erwachsenenzeit, in Frieden erleben durfte kann ich heute nur als glücklichen Umstand bezeichnen. Wir durften in Freiheit und in relativer Unbekümmertheit das deutsche „Wirtschaftswunder“ erleben.

Das war in der Jugendzeit meiner Eltern entschieden anders. Sie erlebten in Ihren jungen Jahren Nazi-Deutschland. Sie hatten einfach das Pech, in dieser Zeit zu leben. Man kann sich heute nicht mehr die damalige Situation der Menschen vorstellen.

Ein Unrechtsstaat entstand. Das ganze deutsche Volk wurde geradezu heimtückisch von der NSDAP verführt. Durch den Bau der Autobahnen und Ausbau der Eisenbahnnetzes und öffentlichen Projekten (Machtzentralen, Schwimmbäder, Thingstätten (Kultstätten usw.) ging die damalige Arbeitslosigkeit zurück. Für die arbeitende Bevölkerung war das ein trügerischer Segen. Heute weiß man, dass es die systematische Vorbereitung zum 2.Weltkrieg war.

Die Mittel im sogenannten 3.Reich zur Machtsicherung waren Propaganda, Personenkult um Adolf Hitler einerseits, Überwachung und Unterdrückung der Bevölkerung anderseits. Der Nationalsozialismus war öffentlich, z.B. Massenorganisationen wie die „Hitler-Jugend, die deutsche Arbeitsfront und Kraft durch Freude“, erfassten und beeinflussten alle Lebensbereiche unserer Eltern und Großeltern. Durch Aufmärsche, Rituale und Gesten wie der Hitlergruß, wurden die Menschen geblendet. Die unmenschlichen, fanatischen Kriegsplaner und Handlanger, waren nur ein ganz winziger Teil der Bevölkerung. Aber die genügten, um ein ganzes Land erst zu begeistern und dann ohnmächtig ins Unglück laufen zu lassen. Ein Teil der Bevölkerung stimmte der damaligen Führung zu, der größte Teil passte sich an, um sein eigenes Leben ungestört führen zu können. Manche waren vor Begeisterung so blind, dass sie nicht wahrhaben wollten wo das ganze Land hinsteuerte. Wer sich nicht anpasste, wurde gnadenlos verfolgt und bestraft. Meine Eltern wollten überleben, für ihre Kinder sorgen und gingen deshalb den Weg des geringsten Widerstandes.

 

Unsere Generation hätte in dieser Situation wahrscheinlich genauso gehandelt.

Das liegt meiner Meinung nach am Selbsterhaltungstrieb der Menschheit!

Es kam zum furchtbaren, heute kaum mehr vorstellbaren „totalen“ Krieg. Soldaten, (unsere Väter,) wurden zu stumpfen, vom Staat gelenkten Schachfiguren, die gnadenlos geopfert wurden. Sie hatten 2 Möglichkeiten: in den Krieg zu ziehen oder das „Vaterland zu verraten“. Aus heutiger Sicht eine grausame, tödliche Situation!  Von den Konzentrationslagern und der Tötung „unwerter“ Menschen wurde nie gesprochen. Menschen mit Epilepsie wurden mit Brom oder Phenobarbital "eingeschläfert" oder vergast.

 

Nach dem Krieg entstand zuerst mal eine große Leere, vielleicht vergleichbar mit einem Wachkoma! Die Menschen, die den Krieg überlebten, „funktionierten“ nur noch wie Automaten. Die meisten waren traumatisiert oder seelisch gebrochen.

Nur so kann ich mir erklären, warum meine Mutter die schlimmen Kriegsjahre bis heute verdrängt. Hier schaltete sich meiner Meinung nach ein Selbstschutz ein, um überhaupt einigermaßen weiterleben zu können. Sie hatte zwar noch ihre Eltern und Geschwister, aber ihr Mann (unser Vater) blieb im Krieg und sie musste alleine mit 2 kleinen Kindern zurechtkommen. Sie musste wieder von Null anfangen. Es war Armut in ganz Deutschland, aber trotzdem schaffte die damalige Generation ungeheures.

 

Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland konnte einen relativ sozialen Staat aufbauen, der für unsere jetzigen Zeitgenossen nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Man darf aber auch nicht blauäugig sein, denn die Leute die den Wiederaufbau gestalteten, waren ca. 10 Jahre vorher Mitwisser und Mitgestalter des Naziregimes. Es waren zum größten Teil studierte Leute (Ärzte, Richter Ingenieure, Fabrikanten usw.).

 

Wir müssen das zarte Pflänzchen „FRIEDEN“ immer wieder gießen und am Leben erhalten.

Erinnerung, Dankbarkeit und Demut wäre hier sehr angebracht.

 

MIT UNSEREN ELTERN SOLLTEN WIR VERSTÄNDNIS UND NACHSICHT ÜBEN;

SIE WAREN KEINE SCHLECHTEN LEUTE

 

oder anders gesagt, die Bestie steckt in jedem Menschen “““

 

 

Verhalten der Menschen mit Epilepsie 1960 

 

Ich bin in einer Zeit aufgewachsen, wo Epilepsie ein Tabu-Thema war. Über Epilepsie wurde in den den 60-ger Jahren nicht gesprochen, Epilepsie wurde weitgehend ignoriert oder verharmlost. Die NS-Zeit war ja immerhin erst 15 Jahre vorbei und die damaligen Horrortaten steckten den Leuten, hauptsächlich den Ärzten, noch in den Gliedern. Immerhin waren sie es, die die damaligen unwerten Leben in den Tod schickten. Und dieselben Ärzte sollten nun Epileptiker behandeln – ein unheimlicher Spagat!! Es war also durchaus nachzuvollziehen, dass die damaligen Betroffenen und deren Angehörigen die Krankheit verheimlichten so gut es eben ging. Bei den weniger spektakulären Epilepsiearten war dies auch überhaupt kein Problem, man wurde als nervös oder fahrig diagnostiziert. Bei den grossen Anfällen (Grand mal) wurde das schon etwas dramatischer, hier stiessen die damaligen Ärzte an ihre Grenzen. Es wurde die „Fallsucht“ als Erb-und Geistes-krankheit eingestuft. Ich hatte damals (1955) das grosse Glück, an 2 junge, mutige Kinderärzte zu geraten. Sie waren die Vorläufer der neuen Epilepsiediagnostik. Spezialisten wie die heutigen Epileptologen gab es damals nicht! Die Behandlung bestand grundsätzlich aus äusserlicher Beobachtung und , das war neu, dem EEG. Medikamente waren Brom und Valproinsäure, Uraltmedikamente die teilweise heute noch Anwendung finden.

 

 Verhalten der Menschen mit Epilepsie 2010

 

In den letzten 25 Jahren hat sich enormes getan. Diagnostische Gräte wie CMT, MRT wurden immer mehr verfeinert auch die Medikamente wurden immer besser und griffen die inneren Organe nicht mehr so sehr an. Zu guter Letzt kam die Epilepsiechirurgie, die schwere Epilepsien sehr gut behandeln kann. Man kann also insgesamt sagen, dass die gesamte Epilepsiebehandlung einen Erfolg verzeichnen kann.

 

Was gravierend auffällt, ist das Verhalten der Menschen damals und der Menschen heute.

 

Damals waren die Menschen bei weitem nicht so aufgeklärt wie heute, der Arzt war noch der Gott im weissen Kittel! Seine Meinung zählte und man glaubte es. Die Grand-mals wurden mit „Kanonen“ beschossen und die kleinen Anfälle meisst vernachlässigt. Man kann sagen, wir waren sehr naiv weil wir es nicht besser wussten. Aber die Anzahl der Epileptiker muss sogar noch höher gewesen sein als heute. Denn es gab ja viele Kriegsverletzte mit Kopfwunden und solche Menschen hatten oft Epilepsie. Aber, und da wiederhole ich mich leider gerne, auch diese Leute verschwiegen ihre Krankheit.

 

Heute sind die Menschen durch die neuen Medien so gut aufgeklärt, dass die Ärzte sehr in Nöte kommen, wenn ein selbstbewusster Epileptiker als Patient in die Praxis kommt. Das ist gut dass mancher Epileptiker sein eigener Sezialist geworden ist, aber Vorraussetzung für eine gute Behandlung kann nur eine gegenseitige vertrauliche Basis sein.

 

 

Verhalten der Menschen 2020

 

 

Nun haben wir in der jetzigen Zeit der Corona Pandemie eine besondere

Herausforderung zu bewältigen. Eine neue Lebensführung wird verlangt, sie ist nötig,

vielleicht sogar gut. Abstand halten zu Leuten, Gesichtsmaske tragen in öffentlichen

Räumen. Dies alles verlangt Disziplin und Verantwortungsbewußtsein zum Nächsten.

Ein neuer Weg muss beschritten werden, für viele von uns ist das nichts Neues, für

Andere eine sehr mühsame Veränderung. Manche gewohnte Veranstaltungen werden

ganz anders, oder brechen ganz weg. Ich denke da Arztbesuche Informationen, die nun

über Internet funktionieren müssen.  Wir müssen jetzt Mut beweisen und neue, gute

Möglichkeiten dafür finden. Mancher ist unsicher, vielleicht sogar hilflos. Neue Wege

müssen beschritten werden,  habt Mut und hilfreiche Ideen für einen guten

Fortbestand unserer Selbsthilfe. Ich wünsche Euch allen die nötige Kraft und den Mut,

die Selbsthilfegruppen zusammen zu halten.

 

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Kommentare: 3
  • #1

    Lisa (Donnerstag, 31 Mai 2012 18:55)

    Puuhh... , das ist echt krass. Gut das Du von früher schreibst, das finde ich cool.
    lg
    lisa

  • #2

    Marco (Freitag, 01 Juni 2012 08:56)

    Hallo Dieter,
    das ist ein sehr schöner Text.
    Und ich kann sogar in den Jahren, von 1981 bis jetzt die Veränderung schon bemerken. :-)
    Trotzdem ist Aufklärung wie du ja schon schreibst, das oberste Gebot. :-O

  • #3

    Dieter (Montag, 04 Juni 2012 15:40)

    Danke,
    ich finde es gut, wenn jüngere Leute sich über dieses sehr schwierige Thema auch gedanken machen.
    Liebe Grüsse
    Dieter