Die Situation der Epileptiker, die sich outeten

Ein Erfahrungsbericht

 

Man kann über alles Mögliche schreiben, die tägliche Zeitung ist ein sehr gutes Beispiel. Da wird von Politik bis zum Sport, vom Kinderkriegen bis zum Sterben geschrieben. Das wird gelesen, die Auflagen bestimmen die Themen. Hauptsache die Quote stimmt. Da passen Krankheitsthemen nicht in das so schöne Klischee der allgemeinen Presse.                                                                                      

Kaum ein Zeitungsjournalist würde ohne Not einen Bericht über die Krankheit Epilepsie bringen. Dabei könnte man hier gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Fachliche Aufklärung kann die Krankheit den Menschen näher bringen und dadurch Interesse wecken. So wäre auch die Öffentlichkeit informiert und gleichzeitig könnten heimliche Ängste der Menschen abgebaut werden.

 

Natürlich gibt es Epilepsie-Zeitschriften, die solche Themen haarklein erläutern. Aber diese Zeitungen lesen leider nur Ärzte, Mitglieder von Epilepsie-Landesverbänden oder Betroffene und Angehörige.

 

Deswegen möchte ich Epilepsie-Erlebnisse aufschreiben, die in meinem Leben vorgekommen sind:

 

Dietmar war ein Mitschüler und wir bekamen von unserem Klassenlehrer gesagt: Passt auf Dietmar auf wenn er „blinzelt“, dann könnte er umfallen. Wir waren damals 9 Jahre alt und hatten keine Ahnung was Dietmar hatte. Aber wir alle passten auf ihn auf, stellten uns neben ihn wenn er „blinzelte“ und warteten bis er wieder mit uns sprechen konnte, auch außerhalb der Schule. Das machten wir ganz selbstverständlich, wir hatten nun ja auch eine gewisse Verantwortung übernommen und das machte uns auch stolz, dass wir da helfen konnten. Erst viele Jahre später erfuhr ich, dass er eine Absencen-Epilepsie (Petit-mal) hatte. Nach der Pubertät war er wieder völlig gesund, Dietmar hatte Glück gehabt.

 

Mein Arbeitskollege Peter spielte im Fußballverein unseres Dorfes. Er war ein guter Spieler, aber er hatte Epilepsie, Aufwachepilepsie. Am Sonntag vor einem Fußballspiel, sagte er zu mir, dass er heute Nacht einen Anfall hatte. Er wolle aber unbedingt spielen, es ging um die Meisterschaft. Ich riet ihm keine Kopfbälle zu machen und er nickte. Peter war an diesem Tag der beste Spieler auf dem Platz, Machte 2 Tore (Kopfballtore) und unser Verein wurde Meister. Seine Mitspieler und die Vereinsmitglieder, sowie alle Anhänger feierten ihn. Sie alle wussten nichts von seiner Epilepsie. Jahre später sah ich Peter wieder und ich fragte nach seiner Epi. Er lachte und sagte er nehme alternative Medikamente, die wären zwar teuer aber er wäre anfallsfrei. Ich musste das akzeptieren, obwohl ich ein ungutes Gefühl hatte. Er hatte seine eigene Methode gefunden anfallsfrei zu werden. Wer heilt hat immer Recht!

 

Auch ich hatte nach langem Suchen meinen Weg gefunden, denn nach der Gründung einer Epilepsie-Selbsthilfegruppe fand ich wieder zum wesentlichen. Diese Aufgabe erfüllt mich so sehr, dass sie wie eine Therapie wirkt. Ich erkannte, dass tausend verschiedene Wege zum Erfolg führen.

 

Karl kam vor 3 Jahren in die Selbsthilfegruppe, er war war ziemlich deprimiert. Gerade arbeitslos geworden wusste er nicht mehr wie es weitergehen sollte. Seine Epilepsie war nach 20 Jahren Anfallsfreiheit wieder ausgebrochen. Da er Zimmermann von Beruf ist, blieb Seinem Chef eigentlich keine Wahl. Er hätte ja bei einem eventuellen Anfall vom Dach stürzen können. Dieses Risiko konnte er nicht eingehen. Karl hatte alles probiert, vom Integrationsamt bis zur Epilepsieanlaufstelle im Nachbarland (bei uns in Baden-Württemberg gibt es leider keine). Alles war mehr oder weniger aussichtslos und nun kam er zu uns. Er redete sich den ganzen Frust und Kummer von der Seele, wir alle hörten aufmerksam zu und wussten keinen echten Rat. Er ist hochqualifiziert und nun kam dieser Tiefschlag….. Wir sprachen in der Gruppe von möglichen und unmöglichen Wegen, hier einen Ausweg zu finden. Von Verschweigen bei Bewerbungen bis zu Eigeninitiativen wurde alles besprochen, es war kein Erfolg zu sehen. So nebenbei kam der Vorschlag von einer Büroarbeit als Planer und Koordinator für die anfallenden Arbeiten.

Zwei Monate später kam er zum Gruppenabend und erzählte von alten Beziehungen zu einer Firma die es mit ihm probieren wollte. Wir waren alle begeistert, redeten ihm Mut zu und versuchten ihn innerlich zu stärken.                                                                  

Kurz und gut, Karl ist inzwischen in seiner neuen Firma Projektleiter, Koordinator und glücklich…… und das mit weniger Lohn als vorher. Er kann Sein Leben wieder sinnvoll gestalten, mehr verlangt er gar nicht. Und in unserer Selbsthilfegruppe wurde er zu einer sehr wertvollen Stütze, ohne ihn könnten wir vieles nicht bewerkstelligen. Und ich glaube, er kommt auch gerne zu uns. Das sind Erfolgsmomente, die einen immer wieder stärken weiterzumachen. Es ist schön, wenn Menschen sich aus eigener Kraft wieder hochziehen können. Karl ist das beste Beispiel dafür, dass man mit kämpfen und starken Willen wieder zufrieden leben kann. Natürlich nimmt er immer noch Medikamente, aber das ist für ihn das kleinste Übel.

 

Da war Paul, er ist blind, von Beruf selbstständiger Masseur und er hat Absencen. Trotz seines zweifachen Handicaps ist er erstaunlich aufgeschlossen, lebenslustig und macht sogar anderen Mut.

 

Rita hat eine generalisierte tonisch-klonische Epilepsie. Sie war völlig am Ende, als sie in die SHG kam. Durch Gespräche, Aufmunterung, Ratschläge und der Einsicht, dass es den Anderen ja auch nicht besser ging, wurde sie zu einem völlig anderen, ausgeglichenen Menschen.

 

Bert hat eine Spastik am rechten Arm und fokale Anfälle. Auch von ihm kann man lernen, wie man mit zweierlei Krankheiten zurechtkommen kann. Hier ist wieder genau wie bei Paul zu erwähnen, dass er trotzdem fröhlich und zufrieden blieb.

 

Dann ist da noch Frieda, die Stimmungskanone in unserer Gruppe. Sie ist 76 Jahre alt und hat (wahrscheinlich) dissotiative Anfälle. Die Diagnose wurde nur von einem Arzt gemacht! „Ich nehme immer zwei blaue Tabletten, den Namen weiß ich nicht“ (Originalton von Frieda). Sie ist jetzt seit 3 Jahren anfallsfrei, wahrscheinlich wegen ihrer positiven und lockeren Art mit der Krankheit umzugehen.

 

Mit diesen Beispielen möchte ich aufmuntern und Wege aufzeigen, wie man auch mit Epilepsie ein gutes Leben führen kann. Es ist zwar ganz anders als man sich das vorher gedacht hat, aber dieses Leben hat vielleicht sogar unerwartete und schöne Möglichkeiten gebracht, die man als sogenannter „Gesunder“ nie erfahren hätte.

 

Ich wünsche Euch allen solch gute

Erfahrungen.                                              

Euer Dieter Schmidt

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Kommentare: 3
  • #1

    Silvi (Freitag, 13 Juli 2012 18:35)

    Hi Dieter,
    ist ja schon beachtenswert,was unsereins leisten kann.
    Ganz so spektakulär ist mein Leben mit Epilepsie,bisher nicht verlaufen,bin aber gegen euch , noch en Epijungspund. ;-)
    lg Silvi

  • #2

    Anja (Mittwoch, 18 Juli 2012 10:49)

    Menschen können unglaublich viel leisten, gerade aus Extremsituationen heraus.

    Dafür muss man nicht unbedingt krank sein, auch andere Lebenskrisen können ganz neue Perspektiven geben.

    Wie sagt man doch so schön: "man muss auf dem Boden liegen, damit man wieder aufstehen kann"

    Besonders imposante Geschichten von Epileptikern gibt es hier: http://www.epi-on-board.de/epilepsie/erfolgsgeschichten/

  • #3

    Dieter (Mittwoch, 18 Juli 2012 12:48)

    Ja, es gibt unheimlich viele Facetten ein Leben gut bewältigen zu können.

    Leider gibt es auch die anderen Wege :-(

    Danke Euch für die guten Beiträge :-)

    Liebe Grüsse

    Dieter