Hockenheimerlebnis 1978

Der Grand Prix von Deutschland zur Formel 1 Weltmeisterschaft fand 1978 in Hockenheim statt.

100 000 Besucher waren damals im Hockenheimer Ring - welch eine Atmosphäre. Mein Freund Günter und ich wollten dieses Spektakel unbedingt miterleben.

Die damaligen Rennstars hießen u.a.: James Hunt, Nicki Lauda, Clay Regazzoni, Mario Andretti. Da wir Formel 1 Fans waren, fuhren wir also in aller Frühe hin. Ich will auch bemerken, dass der Film „Rush“- der gerade in den Kinos zu sehen ist -  mich für diesen Blog  hier inspiriert hat.

Dieses mal spielt Epilepsie eine ziemlich untergeordnete Rolle, aber ich möchte trotzdem erzählen was wir da alles erlebten.

Staunend sahen wir das riesige Motodrom, das wirklich ein Tempel des Rennsports war. Auf der einen Seite war ein riesengroßer Zeltplatz, richtige Rennfans waren schon seit Tagen hier um zu zelten und das Geschehen rund um den Rennsport miterleben zu können. Und auf der anderen Seite stand, wie schon erwähnt, das riesige Motodrom von Hockenheim. Riesige Schlangen standen vor jedem Eingang, um eine Karte zu ergattern und  in dieses gewaltige Stadion zu kommen.

Wir wühlten uns durch die Menschenmenge und kamen nach einer „gefühlten“ Stunde endlich zu unseren Stehplätzen (Sitzplätze waren für uns kein Thema). Wow, was für eine Kulisse, welch eine Atmosphäre. Das musste man einmal erleben, selbst als Epileptiker …

 

Das Formel 1 Rennen war um 14:00 Uhr und wir hatten noch jede Menge Zeit um etwas  Essen zu besorgen. Gemütlich verdrückten wir unser Mittagessen und genossen das rege Treiben. Plötzlich sagte Günter zu mir: Dieter, ich glaube ich habe Deinen Namen im Lautsprecher gehört. Ungläubig sah ich Günter an, meinen Namen bei diesen vielen Menschen? UNMÖGLICH!

Und plötzlich hörte ich es selbst, der Stadionlautsprecher dröhnte:

DIETER SCHMIDT AUS REUTLINGEN SOLL BITTE DRINGEND ZUM AUSGANG  E  KOMMEN.

Ich griff ganz automatisch in meine Hosentasche, tatsächlich, mein Pillendöschen war nicht drin, ich hatte meine Tabletten für Mittags vergessen. Auweia, da hat bestimmt meine liebe Frau alle Hebel in Bewegung gesetzt um mir zu helfen.

Ich ging also mit Günter (wir mussten ja bei diesem Gedränge zusammenbleiben) zum besagten Ausgang und fragte was denn los sei.

Eine sehr nette Dame sagte mir, dass eine Frau Schmidt angerufen hätte. Sie sagte etwas von Medikamenten…

Mir war klar, dass ich mir nun meine Tabletten besorgen musste, egal wie. Die Dame versicherte mir, dass das kein Problem sei, sie wird alles in die Wege leiten....

Was dann geschah, sehe ich heute noch als unwahrscheinliches Glück an. Die nette Dame am Auskunftsschalter telefonierte nun mit verschiedenen Leuten, kurze Zeit später kam ein Notarztwagen und der fuhr uns an der riesigen Menschenmenge vorbei. Der Fahrer fragte nebenher was ich für ein Problem habe. Nachdem ich ihm alles erzählt hatte, sagte er nur: „Ke Sorg, des schaugle ma schun“. Er fuhr zum Ausgang und anschließend zur nächsten Apotheke, das war der Hammer!

 

 

In der Apotheke erklärte ich mein Missgeschick, ich bräuchte 1 Phenhydan, 1 Mylepsinum und 1 Suxinutin. Die Apothekerin erklärte mir, dass sie diese Medikamente nicht ausgeben dürfe. Ob ich den Namen der Reutlinger Apotheke wüsste? Klar wusste ich das, dass war keine Frage, die nette Dame wollte mir helfen. Sie telefonierte mit meiner Reutlinger Apotheke zur eigenen Absicherung und gab mir tatsächlich die Tabletten (sogar die doppelte Menge), und das ohne Rezept oder irgendwelcher Bezahlung. Sie wünschte uns sogar noch einen spannenden Tag.

 

Anschließend fuhr uns der nette Fahrer von rotem Kreuz wieder zurück.

„gell  des war ke Broblem, bei uns werd jedem g’holfe, sogar Schwobe“ Er fuhr uns wieder durch die Menschenmenge zum alten Standort zurück. Ich wollte ihm zum Dank etwas geben, doch er sagte nur: „willsch mich beleidiche, des isch doch selbversdändlich gwessd“ Nach einer kurzen Pause sagte er verschmitzt „für e Bier mache ma alles“. So sind sie halt, die Badener ;-)

Wir suchten unseren alten Stehplatz was sehr schwierig war, denn inzwischen waren viel mehr Zuschauer da. Nun konnten wir uns dem Rennen widmen, es war ja schon 13:30 Uhr. Es war schon emsiges Treiben am Start, die Monteure der verschiedenen Rennställe legten letzte Hand an  und liefen aufgeregt hin und her. Die Motoren heulten auf, es roch nach Benzin.

Dann wurde es totenstill, die Ampeln sprangen von rot auf grün und mit ohrenbetäubendem Geräusch wurde gestartet. Bereits kurz nach dem Start kollidierte Jochen Mass aufgrund eines Aufhängungsschadens mit Hans-Joachim Stuck. Zum Leidwesen der einheimischen Zuschauer schieden die beiden erfolgreichsten deutschen Piloten schon in der ersten Runde aus. Man hatte von den deutschen Fahrern viel mehr erwartet, deshalb ließ die Stimmung merklich nach. Trotzt allem war es ein turbulentes Rennen, das noch lange in Erinnerung bleiben wird.

Von 22 Fahrern kamen nur 11 ins Ziel, es war also ganz schön Feuer unterm Dach, der Rest fiel durch Unfall, Disqualifikation oder Motorschaden aus. Spektakulär war es allemal, denn der technische Perfektionismus von heute war damals noch lange nicht erreicht. Nach 1 ½ Stunden war die Show vorbei, Sieger wurde der Amerikaner Mario Andretti mit 16 sec. Vorsprung auf den Südafrikaner Jody Scheckter, dritter wurde der Franzose Jacques Laffite. (Die Älteren werden sich vielleicht noch an die Namen erinnern)

Rolf Stommelen kam als 11. ins Ziel, wurde aber wegen Verlassens der Strecke in der 1. Runde nachträglich disqualifiziert.

 

Nach der Siegerehrung und der obligatorischen „Sektdusche“ für die Sieger, machten wir uns langsam auf den Heimweg.

Wir beide hatten viel zu erzählen, trotz des tollen Rennens, wegen dem wir ja gekommen waren, sprachen wir hauptsächlich über unser Erlebnis mit der „Medikamentenbeschaffung“ in Hockenheim.

Mir werden der Stadionlautsprecher, die nette Dame am Schalter E, der Fahrer des Notarztwagens und die tolle Apothekerin immer in guter Erinnerung bleiben. Aber auch der fürsorgliche Anruf meiner Frau, der ja alles ins Rollen brachte, war bemerkenswert. Das hatte nichts mit übertriebener Angst zu tun, das war ganz große Sorge um mich. Auch dafür bin ich heute noch dankbar, denn keiner weiß wie der Tag ohne Tabletteneinnahme geendet hätte.

 

Ich wünsche Euch allen auch solche überraschende und positive Bekanntschaften

Euer Dieter Schmidt

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 1
  • #1

    epilepsie-reutlingen (Mittwoch, 11 Dezember 2013 10:30)

    Dies ist eine wahre Geschichte und sie wird für mich immer schöner, je älter ich werde.