Mein Arbeitsleben mit Epilepsie

Epilepsie, Selbstsicherheit, Realität und

Mut für Neues

Wenn ich je einen selbstsicheren, überlegten Mitmenschen nennen müsste, dann würde mir auf jeden Fall mein früherer Chef einfallen. Er war Leiter eines Konstruktionsbüros, kompetent und vor allem – Mensch – ein verständnisvoller älterer Herr, der den guten Umgang mit seinen Zeichnern und Konstrukteuren beherrschte. Vorbild und Freund zu gleichen Teilen, aber auch nötige Distanz und Führungsqualität zeichnete ihn aus. Er wurde von allen respektiert, weil er Respekt uns gegenüber zeigte. Er suchte bei jedem die guten Eigenschaften, was mich speziell für mein ganzes Leben prägte. Denn ich habe Epilepsie und dieser Mensch war für mich ein wahrer Segen, man könnte fast sagen – er war ein Ersatzvater (Mein Vater ist im Krieg gefallen). Mir gefiel seine Art Situationen zu erfassen, er konnte Schwächen und Stärken seiner Mitarbeiter integrieren. Für Ihn war der Beruf Berufung, er ließ sich in keine Schublade drängen und improvisierte seinen Weg alleine. Seine Devise war: Die Auseinandersetzung im positiven mit anderen zu suchen, um dabei selbst menschlich und moralisch stark zu werden. Eine edle Lebenseinstellung, die ich später sehr vermisste. Diese Zeit erleichterte mir die berufliche Existenz, denn ich wurde trotz Epilepsie 100%-tig akzeptiert. Er sagte einmal zu mir: Jeder Mensch hat seine Stärken, aber er hat auch seine Schwächen. Und hier spielen die Gesundheit, der Geist und der Anstand als Einheit die entscheidende Rolle. Sein Credo war: Wissen ist gut, Unwissenheit ist schlecht. Und Risiko kann positiv sein, kein Risiko ist Stillstand oder Rückschritt. Er war ein sehr starker Mensch, nach Außen und nach Innen. Er hat mir das Fundament für meine Selbstsicherheit und für mein zukünftiges Leben gegeben.


20 Jahre später:


Erbarmen – wo ist meine Selbstsicherheit geblieben?

Später kamen Zeiten der Ernüchterung, der selige Rausch wurde durch eine neue, weniger menschliche Art, auf Normalmaß zurückgeschnitten.

Mit einer neuen Arbeitsstelle begann bei mir auch ein neuer, ernüchternder und schonungsloser Lebensabschnitt. Die Luft in der Industriewirtschaft wurde zunehmend rauer und unmenschlicher. Bei den sogenannten Managern (wenn ich das Wort schon höre wird mir übel) zählte nur noch Geld, noch mehr Geld, Effektivität und Rationalität. Auf der Strecke blieb die Menschlichkeit, der nötige Kitt für eine gute Zusammenarbeit. Ich wurde immer stiller, wehrte mich gegen diesen Moloch so gut es eben ging. Das zehrte an den Nerven und an der Gesundheit. Meine Epilepsie machte mir durch die immer größeren Nebenwirkungen sehr zu schaffen. Ich wurde krankheitsanfälliger und hatte mehrere Fehlzeiten. Mir wurde nach einer 20-zigjährigen Betriebszugehörigkeit kaltlächelnd gesagt, dass man einen kranken Menschen nicht durchschleifen könne. Ich konnte und wollte nicht glauben, dass gute ehrliche Arbeit nach so langer Zeit plötzlich nichts mehr galt. Mit 59 Jahren wurde mir wegen andauernder Krankheit fristlos gekündigt. Ein Lebensabschnitt begann, der die bittere Realität in Hoffnungslosigkeit verwandelte. 3-4 Jahre Resignation und Hoffnungslosigkeit waren in dieser Zeit meine Begleiter.

Es ist dann etwas passiert, was ich bis heute noch nicht so richtig einschätzen kann. Ich erinnerte mich an meinen damaligen Chef, an dessen Wärme und Stärke. Sein unbändiger Wille und seine Fähigkeiten neue Wege zu gehen, ließen mich nicht mehr los. Er war mir jetzt, obwohl er schon lange verstorben war, immer noch das große Vorbild und wahrscheinlich auch mein Rettungsanker. Er sagte damals zu mir: Konzentriere Dich immer an die gegeben Umstände, schließlich geht es im Leben immer um den Drang zum Neuen, zum Besseren.

Ich begann etwas Neues, riskierte viel (wie damals mein Chef) und ich wurde ein anderer, zufriedener und selbstbewusster Mensch. Ich begann anderen Menschen zu helfen, wollte ein Beispiel sein und gründete eine Epilepsie-Selbsthilfegruppe. Das alles ging aber nicht ohne Anstrengung und teilweisen Verzicht der bisherigen Gewohnheiten. Ich erkannte, dass man nach Lebenskrisen gestärkt werden kann und dabei ungeahnte, fremde Kräfte freigesetzt werden können.

Ich möchte danken .... meine Selbstsicherheit ist wieder da.

Aber ich weiß auch, dass es große Anstrengung braucht sie zu behalten. Ich danke meiner lieben Frau, sie hat großen Anteil an dieser wunderbaren Wendung.

 

Ich wünsche Euch allen so einen Begleiter und auch so ein Vorbild.

Euer Dieter Schmidt

 

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