…Ich heiße Anja Zeipelt alias Anja D.-Zeipelt, bin glücklich verheiratet, habe zwei erwachsene Kinder und bin mit „Computer ganz einfach“ selbstständig. Als Epilepsiepatientenbotschafterin halte ich Vorträge über Epilepsie, gebe aber auch schon mal Lesungen aus meinen Büchern. Dazu berate ich ehrenamtlich Epilepsiepatienten und Menschen mit dissoziativen/psychogenen Anfällen. In meiner Freizeit trainiere ich ein Männerballett, bin eine ausgeprägte Faschingsnärrin, liebe meinen Hund und mein Aquascape.
…Ich hatte im Alter von 32 Jahren einen Unfall mit meinen Inline Skates, schlug dabei mehrfach mit dem Kopf auf und zog mir dabei scheinbar eine unentdeckte Verletzung
zu.
…Zuerst konnte sich Niemand meine Aussetzer erklären. Da ich meinen Unfall tatsächlich vergessen hatte, gab es keine schlüssige Erklärung für meine Anfälle. Im Dezember 2002 bekam ich, während eines Klinikaufenthaltes mit Langzeit EEG, die Diagnose Epilepsie. Nach 2 Jahren Medikamenteneinnahme und mäßigem Erfolg, kam ich in eine neue Epilepsieklinik. Witzigerweise erkannte der dort ansässige Neurologe sofort die Narbe links im Schädel. Dieselben Bilder hatten bereits drei Ärzte vor ihm als unauffällig eingestuft, sie hatten schlicht nichts gesehen.
…Ich war erleichtert! Wenn man monatelang nicht mehr Herr über seinen Körper ist, aber keine Begründung dafür kennt, ist das sehr verunsichernd. Von daher war es eine willkommene Diagnose. Nach dem Motto „Du kannst einen Feind nur bekämpfen, wenn Du weißt wer er ist“
…Ich begann mit komplex fokale Anfällen, bekam aber noch dissoziative Anfälle dazu. Zwischenzeitlich hatte ich bis zu 8 Anfälle am Tag, die, wenn es sich um dissoziative Anfälle handelte, auch schon mal 45 Minuten dauern konnten. Zu dieser Zeit war ich muskulär topfit, schmunzel. Heute bin ich gut eingestellt und anfallsfrei. Ich muss aber sehr gut aufpassen und Anfallsauslöser konsequent meiden.
...Ich habe seit meiner Diagnose acht Wirkstoffe testen müssen. Nebenwirkungsfrei war keins davon. Ich bin aber durch meine multiplen Allergien auch nicht gerade als „Normalfall“ zu betrachten, da ich extrem auf manche Medikamente reagiere. Jetzt nehme ich das Medikament, was ich am besten vertragen habe, aber nebenwirkungsfrei bin ich nicht. Das belastet mich schon sehr oft.
…Meine Familie musste sich stark einschränken. Wir wohnen ländlich, an einer Kreisgrenze, die nicht mal ein Bus überquert. Der Wegfall meiner Fahrerlaubnis traf die Kinder somit besonders hart, ich konnte sie nicht mal mehr im Krankheitsfall aus der Schule abholen. Aber sie entwickelten sich dadurch auch sehr viel sozialer als ich das bei anderen Kindern ihres Alters beobachten konnte. Meine Arbeitsstelle verlor ich, als ich das Wort Epilepsie zum ersten Mal erwähnte. Meine Freunde dagegen nicht. Ich versuchte, die Epilepsie nicht allzusehr mein Leben bestimmen zu lassen und konnte mit einer gehörigen Portion Sarkasmus und Offenheit Freunde und Epilepsie verbinden. Aber Natürlich war es auch für meinen Mann schwer mich plötzlich so zu sehen. Aber es schmiedete uns, wie jeder Schicksalsschlag zuvor, nur noch mehr zusammen.
…. Es gibt weitaus Schlimmeres als Epilepsie, das musste ich in meinem Leben davor schon zur genüge erfahren, deswegen fiel es mir vielleicht etwas leichter sie anzunehmen. Ich glaube an
das Schicksal, dass alles was passiert, aus einem bestimmten Grund passiert. Mir fallen tatsächlich mehrere Gründe ein, warum die Epilepsie mein persönliches Schicksal sein könnte.
…Mich belastet weniger die Epilepsie, als vielmehr Konsequenzen, daraus entstanden. Der Verlust der Arbeitsstelle z.B., das Fahrverbot und andere Einschränkungen/Folgen. Mein Weg etwas dagegen zu tun, ist der, Anderen zu helfen, Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben, mich selbst zurückzustellen. Und an erster Stelle steht meine Familie.
…Ja, als ich meine Arbeit verlor. Ich erzählte der Frau meines Chefs meine Diagnose und sie bat mich sofort, zu kündigen. Das machte rasend vor Wut. Aber es brachte mich auch dazu, den ersten Schritt auf meinem Weg zu gehen, ein Buch darüber zu schreiben.
...Wissen ist Macht. Das gilt auch für eine Erkrankung und natürlich ganz besonders für eine noch so weitgehend unerforschte Erkrankung wie Epilepsie. Ich verlasse mich nicht alleine auf
das Wissen meines behandelnden Arztes, sondern suche immer wieder erweiterte Wissen eines Spezialisten. Ein Arzt, der sich ausschließlich mit Epilepsie befasst, hat einen ganz anderen
Erfahrungsschatz wie ein Arzt, der sich täglich mit allen Erkrankungen des kompletten zentralen Nervensystems auseinandersetzen muss und deswegen nicht so intensiv nach einer einzigen
Erkrankung forschen kann. Deswegen finde ich Fachvorträge sehr interessant. Da aber selten genau meine Fragen getroffen werden, stehen in meinem Schrank mehrere Fachbücher erfahrener
Epilepsiespezialisten. Wenn man online nach entsprechenden Büchern sucht, bekommt auch gleich die Beschreibungen und Bewertungen anderer Leser. Ich persönlich empfehle eigentlich immer das
Buch aus dem Trias Verlag „Epilepsie: Die Krankheit erkennen, verstehen und gut damit leben“ von Dr. Günter Krämer. Alle Bücher dieses Autors sind sehr verständlich und umfassend. Da er 20 Jahre
das Schweizer Epilepsiezentrum leitete, verlasse ich mich gerne auf diese Erfahrung
...Ich bin mir sicher, dass ich ohne meine Hobbies in ein psychisches Loch gefallen wäre. Die Diagnose ist weniger hart als die Folgen, die man erst einmal verarbeiten muss. Dank meiner Hobbies und den lieben Menschen um mich herum hatte ich aber immer optimalen Ausgleich und Ablenkung. Auch wenn ich dadurch Anfälle vor Publikum bekam, gab ich kein Hobbie auf. Sport ist ein toller psychischer Ausgleich und Kunst schon fast Therapie, da man damit sein Innerstes ausdrücken kann.
...Früher gab es nichts was ich als wichtiger im Umgang mit der Epilepsie bezeichnet hätte. Heute sehe ich dies etwas differenzierter, da manche Menschen Pech nach ihren Outings hatten. Meiner Beobachtung nach kommt es häufig auf das wann und wie an. Ich stehe dramatischen Schicksalsberichten ganz kritisch gegenüber, weil ich täglich sehe, wie sehr sie verunsichern können. Outing ja, aber richtig, ist deshalb meine Devise. Man sollte immer bedenken dass jeder Mensch ein Schicksal hat und auf irgendeine Art und Weise belastet ist. Meiner Erfahrung nach ist die beste Methode ein Outing mit positivem Überraschungseffekt, etwas Humor oder eine interessante Einleitung.
…Ich schreibe Bücher, halte Vorträge, habe eine spezielle Epilepsie Homepage, entwickelte eine „Mutter Homepage für Selbsthilfegruppen , berate in Foren und verteile in der Nähe auch schon mal Flyer in Briefkästen von Betroffenen oder an deren Familien.
…Ich plane nie. Ich nehme das Leben wie es kommt und versuche das Beste daraus zu machen. Aber ich hoffe, in ein paar Jahren einmal eine tolle Oma zu werden. Durch die Epilepsie hätte ich mehr Zeit für meine Enkel als wenn noch 20 Jahre im normalen Arbeitsleben stünde ;-) Auf jeden Fall bin und bleibe ich eine humorvolle Frau mit Epilepsie, die hoffentlich noch sehr lange für Epilepsieaufklärung aktiv sein darf.
...Ich habe gar nicht darüber nachgedacht, dass etwas Schlechtes an Epilepsie sein könnte. Ich habe es genauso erzählt, als wenn ich z.B. über einen Bandscheibenschaden berichtet hätte. Als ich aber das Tabu um die Epilepsie und die mangelnde Aufklärung bemerkte, war für mich klar dass ich aktiv dagegen antreten wollte – und schrieb mein erstes Buch.
Nun habe ich noch vier Satzanfänge, welche Du nun bitte vervollständigen sollst:
- Meine eigentliche Stärke ist...
…Mein ausgeprägter Gerechtigkeitssinn.
- Meine große Leidenschaft ist...
...meine Familie
- Mein größter Wunsch ist...
...Ich begrenze diese Frage mal auf „realistischer Wunsch“ ...dass meine Lieben immer zufrieden sind.
- Woran ich an mir noch arbeiten könnte, ist ...
...ich mache mir stets zu viele Gedanken, das würde gerne noch abstellen können.
Vielen Dank liebe Anja für das Interview, die Epilepsie -Selbsthilfegruppe Reutlingen wünscht Dir weiterhin viel Kraft und Leidenschaft bei all Deinen Vorhaben.
P.s. Anja Zeipelt hat zum größten Teil zur Erstellung dieser Partner-Homepage beigetragen. Dafür dankt die Selbsthilfegruppe Reutlingen. Video