16.03.2021
Fragen von Dieter Schmidt (schwarz), Antworten von Michael Alexa (rot)
Wir sind inzwischen FB und Skype-Freunde. Ist es für Dich in Ordnung, wenn ich Dich duze?
Selbstverständlich ist es für mich in Ordnung, wenn wir einander duzen. Es ist mir eine sehr große Ehre. Ich schätze den Austausch mit Dir sehr und empfinde unsere «Gespräche» - auch wenn sie derzeit nicht persönlich stattfinden können – immer sehr positiv, wertschätzend und sehr freundlich.
Zuerst möchte ich Dir ganz herzlich zu Deiner Ernennung zum Ambassador for Epilepsy gratulieren.
Herzlichen Dank! Ich kann gar nicht sagen, wie sehr ich mich über diese Ernennung freue.
Wenn Du möchtest, kannst Du Dich kurz vorstellen (Name, Alter, Familie, Beruf, Tätigkeit, Lebenssituation, Hobbys)
Mein Name ist Michael Alexa. Ich werde im April 2021, 52 Jahre alt. Ich bin seit über 30 Jahren in derselben Firma als Controller tätig. Ich habe nebenberuflich mein Studium der Finanz-, Rechnungs-, und Steuerwesen abgeschlossen und meinen Mag. (FH) gemacht.
Gleichzeitig bin ich seit 30 Jahren sehr intensiv – in verschiedensten Positionen – sowohl national als auch international – in der Selbsthilfe tätig. Zu meinen Hobbys gehört auf jeden Fall das Reisen. Meine Reisen haben zum größten Teil mit nationalen / internationalen Kongressen zu tun, wobei ich sämtliche Kosten selbst trage.
Ich lebe in Niederösterreich – südlich von Wien – in der Nähe meiner Eltern. Auch mein Bruder und seine Familie leben in der Nähe. Coronabedingt müssen wir den herzlichen und persönlich regen Kontakt derzeit sehr einschränken und telefonieren dafür umso mehr. Seit 2 Jahren lebe ich in einer festen Partnerschaft, die mich sehr glücklich macht.
Im Folgenden möchte ich Dir Fragen zu Dir und Deiner persönlichen Erfahrung zur Krankheit Epilepsie stellen.
Wie hat die Epilepsie bei Dir angefangen, gab’s einen Auslöser? Seit wann hast Du Epilepsie und wie oft hast Du Anfälle? Was für eine Epilepsie hast Du und wie wird sie behandelt? Bist Du anfallsfrei mit Medikamenten oder besteht bei Dir u. U. sogar Aussicht auf Heilung?
Meine Anfälle begannen mit meinem 8. Lebensmonat. Damals wurden als Ursache / Auslöser meiner Epilepsie Fieberkrämpfe festgestellt. Ich war in meiner Kindheit 7 Jahre anfallsfrei und nahm fast keine Medikamente mehr. Nach dem Wiederauftritt der Anfälle hat sich meine Anfallsfrequenz bei einem Anfall alle 2,5 Jahre eingependelt. Nach einem provozierten, überwachten Anfall zur genaueren Diagnostik hat sich meine Anfallsfrequenz trotz Medikation deutlich erhöht und bei 1 bis 2 Anfällen pro Jahr eingependelt. Ich habe sekundär generalisierte tonisch klonische Grand Mal Anfälle (Große Anfälle). Einer meiner Auslöser, der sicher identifiziert wurde, ist das Flackerlicht in der Disco bzw. Licht- / Schattenwechsel in der Natur. Im Moment bin ich seit über einem Jahr anfallsfrei. Ich nehme seit über 50 Jahren dasselbe Medikament. Meine größte und realistische Sorge ist, dass das Medikament in absehbarer Zukunft vom Markt genommen wird, da es zu den ältesten antiepileptischen Medikamenten gehört. Eine Umstellung könnte auf Grund der langen Einnahme nur stationär und über einen sehr langen Zeitraum erfolgen. Eine Aussicht auf Heilung sehen mein Epileptologe und ich – beim derzeitigen Wissensstand – nicht.
Wie waren Deine Gefühle nach der Diagnose?
Dadurch, dass ich ein Baby war, als bei mir die Epilepsie diagnostiziert worden ist, habe ich natürlich an diese Zeit keine Erinnerungen. Aber – ich musste mich im Alter von 10 Jahren zwischen den Sängerknaben vom Wienerwald (Jugendchor, der in der ganzen Welt auftrat) und meiner Schulausbildung (Gymnasium) entscheiden, weil meine Anfälle beides nicht zugelassen hätten. Ich habe mich damals schweren Herzens für die Schulausbildung entschieden.
Epilepsie und Botschafter passen auf den ersten Blick nicht unbedingt zusammen. Dennoch vereinst Du diese Gegensätze als Person. Wie schaffst Du es als Person mit Epilepsie diese scheinbaren Gegensätze zu vereinbaren? Hast Du persönliche - von der ärztlichen Behandlung unabhängige - Strategien im Umgang mit Deiner Epilepsie entwickelt? Wenn ja, welche sind das? Wie wichtig findest Du das Wissen über Epilepsie? (Lektüre, Fortbildung mit Fachärzten, Seminare usw.), und kannst Du etwas empfehlen?
Ich habe mich nie als Epileptiker gesehen. Ich lebe mein Leben als Michael – die Erkrankung ist nur ein Teil von mir. Allerdings nütze ich jede Gelegenheit, um aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse, neue Therapiemöglichkeiten und Forschungsergebnisse über die Epilepsie / Medikamente zu erfahren. Ich habe seit 1994 keinen europäischen Kongress und seit 1995 keinen internationalen Kongress verpasst. Ebenso habe ich regionale und nationale Kongresse regelmäßig besucht und versucht, das gewonnene Wissen an andere Betroffene weiterzugeben – ich veröffentliche regelmäßig Artikel in der ZAK (Zeitschrift für Anfallskranke), nehme an Gruppentreffen teil, teile meine persönlichen Erfahrungen – auch die negativen – und meine Lösungen mit anderen Betroffenen und arbeite ehrenamtlich im Vorstand des EDÖ, der mich 2020 zu seinem Präsidenten gewählt hat. Ich hoffe damit Vorurteile gegen und Ausgrenzung von Betroffenen noch weiter zu reduzieren. Derzeit verlagert Corona meine Fortbildungen mehr ins Internet. Sofern es mir möglich ist, und es mir meine Zeit erlaubt, nehme ich an allen angebotenen Webinaren teil. Das Wissen über die Krankheit, das ich mir in den letzten 30 Jahren angeeignet habe, hat mir sehr dabei geholfen, meine Angst bezüglich der Epilepsie zu überwinden. Ich sehe denselben Effekt auch bei anderen Betroffenen – Wissen gibt Sicherheit. Die Epilepsie Selbsthilfevereinigungen auf nationaler und internationaler Ebene bieten sehr viele Webinare, Seminare, Kongresse und Fortbildungen an. Diese würde ich jedem Betroffenen / Angehörigen ans Herz legen – es ist sicher für alle etwas dabei!
Bist Du durch die Medikamente gehandicapt? (müde, langsam)
Medikamente, die Anfälle kontrollieren sollen, haben bei den meisten Betroffenen Nebenwirkungen. In meinem Fall kenne ich natürlich Müdigkeit als Nebenwirkung. Verlangsamt fühle ich mich nicht – allerdings ist eine Nebenwirkung meines Medikaments das „Stottern“, welches ich durch intensives Training in den Griff bekommen habe. Weiters zählen zu den Nebenwirkungen auch noch Gewichtszunahme (kann ich bestätigen – vor allem die 10 kg Schübe) und Osteoporoserisiko, welches ich zum Glück noch nicht bestätigen muss – und trotzdem in der nächsten Zeit vorbeugend untersuchen lassen werde. Als letzte Nebenwirkung sind noch Kopfschmerzen zu beklagen, die normalerweise mit den gängigen Präparaten in den Griff zu bekommen sind. Allerdings kenne ich auch Tage, wo dem nicht so ist.
Wie hat sich Deine Epilepsie auf Deinen Alltag ausgewirkt? (Familie, Freunde, Beruf, Soziales, Führerschein, Urlaub, Partnerschaft)?
Dadurch, dass meine Eltern „ein krankes Kind“ hatten und haben, wurde ich einerseits sehr behütet, andererseits sind meine Eltern schon immer hinter mir gestanden – das hat schon in der Volksschule begonnen, als sie mich unbedingt in eine „Regelschule“ schicken wollten und dies auch gegen Widerstand durchgesetzt haben. Jahre später wurde bei mir eine Hochbegabung festgestellt, die meine Eltern schon sehr früh erkannt haben. Hätten meine Eltern sich nicht so sehr für mich eingesetzt, wäre ich jetzt nicht dort, wo ich heute bin. Auch mein Bruder hat mich immer unterstützt und dafür bin ich Ihm dankbar. Für meine Freunde macht es keinen Unterschied, ob ich Epilepsie habe, oder nicht. Auf der anderen Seite ist eine Erkrankung irgendeiner Art kein Kriterium für eine Freundschaft für mich. Ich habe bei meinem Vorstellungsgespräch meine Epilepsieerkrankung offen angesprochen und bin trotz 25 anderer Bewerber auswählt worden. Ich arbeite seit fast 32 Jahren in derselben Firma. Es war mir nie möglich den Führerschein zu machen, da ich nie lange genug anfallsfrei gewesen bin, um die damals gültigen gesetzlichen Erfordernisse zu erfüllen. Obwohl sich die gesetzlichen Vorgaben in der Zwischenzeit geändert haben, würde ich ihn auf Grund meiner Photosensibilität nicht machen. Meine Epilepsie hatte niemals eine Auswirkung auf meinen Urlaub. Ich habe schon alle 5 Kontinente mindestens 2x bereist – und mit meiner Partnerin, die ich seit ca. 2 Jahren habe, habe ich vor, jedes Land der Erde noch einmal zu besuchen…
Wie schaffst Du es, mit der Epilepsie klarzukommen - sie zu akzeptieren?
Ich habe immer wieder Phasen, in denen es mir schwerfällt, meine Erkrankung zu akzeptieren. Aber ich habe sehr viele Menschen in meinem Leben, die in diesen Phasen mit mir reden, mir zuhören und gemeinsam mit mir lachen – genauso wie ich es für sie tue, wenn sie meine Hilfe benötigen. Dann wird mir immer wieder bewusst, dass die Epilepsie ja nur ein Teil von mir ist, und mache einfach dort weiter, wo ich aufgehört habe…
Hast Du ein Stigma hautnah erlebt und wie würdest Du in diesem Moment Deine Gefühle beschreiben? (Ausgrenzung, eigene Isolation, psychische Belastung, etc.)
So wie jeder andere auch, habe ich in meinen jungen Jahren, regelmäßig Discotheken und Tanzlokale besucht. Dort habe ich mehrfach erlebt, dass sich neue Bekanntschaften sofort von mir wieder zurückgezogen haben, sobald ich die Frage, warum ich keinen Alkohol trinke, mit „Auf Grund meiner Epilepsie!“, ehrlich beantwortet habe. Natürlich habe ich es damals als Stigma und als Kränkung empfunden. Damals hatte ich Angst davor, überhaupt keine Partnerin zu finden, die meine Epilepsie akzeptieren kann. Zum Glück hat sich diese Befürchtung nicht bewahrheitet.
Hast Du während Deiner Aktivitäten schon mal einen Anfall gehabt? Wenn ja, wie hast Du das erlebt und verarbeitet?
Meine Anfälle treten ohne für mich erkennbare Aura auf. Ich vermeide definitiv Flackerlicht und Schlafmangel, da diese bei mir zu den Auslösern gehören. Nach jedem Anfall kommt in mir die Verzweiflung hoch «Warum schon wieder – warum ich». Diese Gefühle kann wahrscheinlich jeder Betroffene nachempfinden. Danach muss ich meine anfallsfreie Zeit wieder von neuem beginnen! Gleichzeitig sorge ich mich auch um die Menschen, die dabei anwesend sind.
Ausgleich, Sport, Hobby und Beschäftigung. Ist das für Dich wichtig, vielleicht sogar eine Zusatztherapie?
In „Coronafreien“ Zeiten bin ich – vor allem an den Wochenenden – ein sehr aktiver Mensch. Konzerte, Theater, Tanzen, Ballbesuche, Ausflüge, Spaziergänge, Kartenspielen mit Freunden, Schach, Schnapsen und das Chillen auf der Loggia meiner Wohnung gehören definitiv zu meinen Hobbys. Sobald Corona es wieder zulässt, werde ich diese Aktivitäten wieder deutlich erhöhen.
Mittlerweile wissen viele Menschen in der Öffentlichkeit um Deine Epilepsie, was war Dein Antrieb für diesen transparenten Umgang? Dein offener Umgang mit dem Thema ist bewundernswert, da die Krankheit immer noch als Tabuthema gilt. War das der Grund für Dein Outing? Warst Du seit Ausbruch Deiner Epilepsie immer schon so offen im Umgang mit der Krankheit? Wie gehen die Mitarbeiter und Dein Umfeld mit dieser - Deiner - Wahrheit um?
Mit 14 Jahren ist mir plötzlich klar geworden, dass meine Mitschüler über meine Epilepsie Bescheid wissen sollten, und was zu tun ist, wenn ich einen Anfall habe. Meine Erfahrung war, dass sich sowohl meine Ausgrenzung vermindert als auch die Klassengemeinschaft sehr verbessert hat. Dieses Erlebnis war für mich sehr prägend. Wie ich bereits erwähnt habe, hat es sich bei der Bewerbung für den Job, bei der Mitarbeit in den Selbsthilfeorganisationen und auch während des Studiums bewährt.
Meine Kollegen wissen auch darüber Bescheid und ich habe auch sie aufgeklärt was im Falle eines Anfalls zu tun ist. Zum Glück ist während meiner beruflichen Karriere noch nie ein Anfall im Büro aufgetreten.
Was tust Du, um Anderen Epilepsie-Betroffenen zu helfen oder aufzuklären?
Wie Du sicher aus Deiner persönlichen Erfahrung weißt, gibt es bei der Aufklärung von Epilepsie-Betroffenen zwei große Themenbereiche:
a. Ich habe viele Kongresse – nationale, regionale und internationale – besucht! Das habe ich meistens gleich mit einem Urlaub verbunden, da für mich eine Reise nach Sydney ohne Urlaub keinen Sinn ergibt.
b. Ich habe mit einem Freund aus Deutschland gemeinsam 2 Radtouren organisiert!
c. Ich bin seit ca. 25 Jahren die internationale Kontaktperson des EDÖ für das IBE!
d. Ich war 8 Jahre Mitglied im EREC (European Regional Executive Committee) des IBE.
e. Ich habe den EDÖ beim EPIPICTO Projekt vertreten. Das ist ein Co-Finanziertes-Erasmus+-Projekt in Zusammenarbeit mit Malta, Schottland, den Niederlanden und Deutschland.
Du hast auf Grund Deiner Epilepsie alle Kontinente der Welt bereist. Ist das nicht eine riesige körperliche und geistige Anstrengung?
Es ist nicht nur eine körperliche und geistige Anstrengung – es ist auch eine finanzielle Anstrengung. Zum Glück habe ich einen gut dotierten Job, der mir diese Reisen erst ermöglicht, da ich mir alles selbst finanziert habe. Bezüglich körperlicher und geistiger Anstrengungen ist zu sagen, dass die größte Anstrengung der Flug und die Zeitumstellung selbst ist. Wenn man einen Tag von Wien nach Sydney fliegt – mit einer Stunde Aufenthalt in Singapur – dann ist das natürlich eine Anstrengung. Allerdings wiegt die Erinnerung an die tollen Reisen, sowie die Erkenntnisse, wieder etwas Neues gelernt zu haben, alles wieder auf! Manchmal passieren auch witzige Zufälle: Ein Gespräch mit einem völlig Fremden auf einem Bahnsteig führt zu einem spontanen Interview über Epilepsie im Radio. Das ist mir in Südafrika passiert. Ehrlich – ich wollte nur nach dem Weg fragen ;O)
Woher nimmst Du die Energie Dich jedes Mal wieder zu motivieren und Epilepsieaufklärung zu verbreiten, sei es nach einem Anfall oder durch persönliche Probleme?
Ich habe durch die Arbeit für die Epilepsie Selbsthilfe viele neue Freunde gefunden – so wie Dich! Freunde sind ein großer Motivator für mich!
Ist die Hilfe für andere Menschen für Dich zusätzliche Therapie?
Aus diesem Blickwinkel habe ich die Frage noch nicht betrachtet! Ich habe viel gegeben, und ich habe auf der anderen Seite auch wieder viel von den Menschen zurückbekommen! Die Arbeit für die Selbsthilfe habe ich niemals als Therapie für mich angesehen. Ich habe nicht gefragt, was die anderen für mich tun können, sondern, was ich für die anderen tun kann.
Gibt es aus dem Bereich Deiner Arbeit Gründe, die Dir bei der Bewältigung der Epilepsie helfen?
Bei der Bewältigung meiner Epilepsie hilft mir meine Arbeit nicht – ich bin Controller. Aber bei der Bewältigung der Arbeit für die Selbsthilfe hilft sie mir sehr wohl – ich habe mir ein immenses Fachwissen in Programmen wie EXCEL angeeignet, das ich dem EDÖ natürlich zur Verfügung stelle.
Was sind Deine Pläne für die Zukunft und wie willst Du diese mit Deiner Epilepsie verbinden?
Wie ich schon bei der Frage der Partnerschaft gesagt habe, habe ich vor, mit meiner Partnerin alle Länder der Welt zu bereisen. Zufälligerweise werden in einigen davon sicher Kongresse stattfinden, und wir werden das mit unseren Urlauben verbinden! Mal abgesehen von den Urlauben, habe ich vor, meine Partnerin nicht vor der nächsten Sonnenfinsternis herzugeben – und die ist 2081!
Nun habe ich noch vier Satzanfänge, welche Du nun bitte vervollständigen sollst:
- Meine eigentliche Stärke ist...
dass ich niemals aufgebe
- Meine große Leidenschaft ist...
Reisen
- Mein größter Wunsch ist...
Mit der Ehrung zum Ambassador for Epilepsy hat sich mein größter Wunsch erfüllt.
- Woran ich noch arbeiten könnte, ist ....
dass ich die Verbindung zu Euch allen, die ihr mir so wichtig seid, niemals verliere!
Vielen Dank lieber Michael für das Interview, die Epilepsie -Selbsthilfegruppe Reutlingen wünscht Dir weiterhin viel Kraft und Leidenschaft bei all Deinen Vorhaben.
Lieber Gruß Dieter