Interdisziplinäre Fortbildung  8. Februar 2014,

in Tübingen, Universitäts-HNO-Klinik

 

 

Aktuelles Wissen zu den seltenen Ionenkanalerkrankungen: Epilepsien, Migräne und Muskelerkrankungen.

 

 

Referenten:                                                                                                                                        Prof. Dr. Holger Lerche                                                                                   Ärztlicher Direktor Neurologie mit Schwerpunkt Epileptologie des Universitätsklinikums in Tübingen, Hertie-Institut für klinische Hirnforschung.


Dr. Markus Wolff                                                                                              Oberarzt, Leiter EEG-Labor und Neuropädiatrische
für Kinder- und Jugendmedizin Tübingen.


PD Dr. Frank Weber                                                                                           Klinischer Neurologe, Leiter der Abteilung Neurologie und Neurophysiologie am Bundeswehrkrankenhaus Ulm.


Prof. Dr. Michael Strupp                                                                                 Professor der Neurologie und klinischen
Neurophysiologie der Universität München und des Deutschen Zentrums für Schwindel- und Gleichgewichtsstörungen der Universität München.


PD Dr. Tobias Freilinger                                                                                   Oberarzt, Abteilung für Neurologie mit
Schwerpunkt Epileptologie des Universitätsklinikums Tübingen,

 

Man hat mich eingeladen, ein kurzes Statement über Epilepsie-Selbsthilfe und die Perspektiven eines Epilepsieerkrankten zu schildern. Und das vor 40 - 50 Fachärzten.

 

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Guten Tag Meine Damen und Herren

 

mein Name ist Dieter Schmidt, ich bin 72 Jahre alt, verheiratet und habe einen Sohn. Seit meinem 14-ten Lebensjahr habe ich Epilepsie, konnte aber trotzdem einen Beruf ausführen. Wenn auch mit Einschränkungen.

 

Epilepsie ist eine kurzeitige Störung des Gehirns, man kann es mit einem“Gewitter“ im Kopf vergleichen und sie zählt zu den häufigsten neurologischen Kankheiten. Allein in Deutschland sind rund 800 000 Menschen davon betroffen. Das sind 1% der Bevölkerung in Deutschland. Leider ist in unserer Bevölkerung Epilepsie immer noch ein Tabuthema. Ansteckend, Gefährlich, Behindert, Besessen oder beschränkt ist heute noch die Meinung beim Großteil der Bevölkerung. Deshalb ist ein Outing der Betroffenen und Aufklärung sehr wichtig, was leider sehr schwierig ist. Neurologen und Selbsthilfegruppen tun zwar ihr Bestes, aber Die meißten interessiert das gar nicht.

 

 

Ich möchte kurz meine Epilepsiegeschichte beschreiben: Es war 1955 als ich meinen ersten Großen Anfall bekam. Niemand wusste was Epilepsie ist und meine Mutter war damit ziemlich überfordert. Ich hatte damals das große Glück, an 2 junge Kinderärzte der Heidelberger Kinderklinik zu geraten, die sich auf kindliche Epilepsie spezialisiert haben. Spezialisten wie die heutigen Epileptologen gab es damals noch nicht! Die Behandlung bestand grundsätzlich aus körperlicher Untersuchung, äußerlicher Beobachtung und dem EEG. Medikamente waren Brom und Valproinsäure, mein Medikament hieß zu jener Zeit Antisacer-Compositum. Das waren Uraltmedikamente die aber teilweise heute noch Anwendung finden. Aber sie hatten auch schlimme Nebenwirkungen (Akne, Verlangsamung der Handlungen). Man muß bedenken, dass damals die Epileptologie noch in den Kinderschuhen steckte. Natürlich versuchte ich auch in der Alternativmedizin mein Heil, ich griff ja nach allen Möglichkeiten. Aber mir wurde sehr bald bewusst, dass Homöopathie nur unterstützend wirkt. (das wurde mir von 2 unabhängigen Homöopathen bestätigt).

 

 

Durch immer besser werdenden Untersuchungsmethoden wurde die Diagnostik immer mehr verfeinert. CT, MRT, Stimulationsgeräte und Operationen, brachte eine erhebliche Verbesserung der Behandlung. Auch immer besser werdende Medikamente trugen dazu bei, eine Anfallsfreiheit von 70% zu erreichen. Im Jahr 2006 machte ich im Epilepsiezentrum eine Medikamentenoptimierung. Hier bestärkte man mich, die Krankheit Epilepsie der Öffentlichkeit näher zu bringen.

 

Deshalb gründete ich mit 65 Jahren eine Epilepsie-Selbsthilfegruppe in Reutlingen. Der Landesverband der Epilepsie SHG`s Baden-Württemberg, hat uns dabei sehr geholfen. Durch diese neue Aufgabe verbesserte sich meine Lebensqualität und meine Selbstsicherheit, denn ich hatte das Gefühl wieder gebraucht zu werden. Nun konnte ich nach und nach Pläne verwirklichen, die mir sehr am Herzen lagen. Ich konnte nun anderen Betroffenen dabei helfen, die Krankheit zumindest soweit zu akzeptieren, dass sie mit ihr vernünftig leben können. In der Selbsthilfegruppe machen wir uns gegenseitig Mut daß ein Leben mit Epilepsie durchaus möglich ist und dass hadern, zweifeln und jammern überhaupt keinen Sinn macht. Ich kann davon erzählen wie ich selbst gelernt habe, dieses Handicap anzunehmen und mit der Epilepsie zu leben…

 

 

Ich sage immer wieder: Wir sind krank – das ist richtig – aber andere sind auch krank, sie leben mit ihrer Krankheit – DAS KÖNNEN WIR AUCH. Es ist wunderbar, von anderen Mitbetroffenen Zuversicht, Kraft, Hoffnung und sogar Freundschaft zu bekommen. Diese tolle Austauscherfahrung bringt nicht nur mir eine neue Lebensqualität, sondern es setzt auch bei anderen ungeahnte Energien frei, von denen man vorher nicht zu träumen wagte. In Selbsthilfegruppenkönnen eigene Erfahrungen weitergegeben werden, aber man erfährt auch, daß es anderen ähnlich geht. Aber vielen fällt der Schritt in eine Selbsthilfegruppe sehr schwer, denn sie schämen sich oftmals wegen ihrer Krankheit und trauen sich nicht zu uns zu kommen. Doch hier wird man verstanden und akzeptiert. Man muss sich aber immer vor Augen halten, dass Epilepsiekranke sehr oft an den Rand der Gesellschaft geschoben werden.  Sie haben sehr große Probleme eine Arbeitsstelle zu finden, obwohl sie genügend qualifiziert sind. Oft sind sie für Hilfsarbeiten oder schlecht bezahlte Arbeit schon zufrieden, denn die meisten Arbeitgeber stellen keine Epileptiker ein. Man könnte hier Abhilfe schaffen, doch die Realität ist, dass 25% der Epileptiker arbeitslos sind. Die Folgen sind oftmals Frührenten, Arbeitsunfähigkeitsrenten und Isolation. Hartz IV ist oft das Ende der Fahnenstange.  Viele neigen auch zu Depressionen, Suizidgefährdung und Zurückgezogenheit. Sie fühlen sich von der Gesellschaft ausgestoßen und alleine gelassen.  Psychische Probleme sind keine Seltenheit, deshalb sollte man Epilepsiekranke nicht einfach als unbelastbaren Menschen abstempeln.   Die Öffentlichkeit sollte zu dieser ganzen Misere aufgeklärt werden. Sie soll ruhig wissen, dass wir für unsere Krankheit nichts können. Sie sollen auch wissen, dass ein Anfall meistens schnell vorbei ist. Und sie müssen wissen, dass wir nach kurzer Zeit wieder recht normal weitermachen können. Wenn sich das alles in der Öffentlichkeit herumspricht, haben wir sehr viel erreicht. Die Leute bekommen keine Angst mehr und haben demnach auch keine Vorurteile mehr. Meist sind sie ruhiger, freundlicher und auch erleichtert, dies nun zu wissen. Der Umgang wir besser, das weiß ich aus eigener Erfahrung! 

 

 

  Dies alles ist möglich, man muss nur aufeinander zugehen!

 

Wir haben gerade bei der Epilepsiebehandlung richtig gute Fortschritte gemacht, das hätte man sich vor 20-30 Jahren nicht zu träumen gewagt. Deshalb braucht uns vor der Zukunft nicht bange sein, denn die Entwicklung der Antiepileptika und der Medizin geht immer weiter…..

 

Ich möchte noch kurz ein paar berühmte Epileptiker aufzählen: Alexander der Große, Napoleon, Lenin, Richelieu, Jeanne D`arc (Jungfrau von Orleáns), Dostojewski, Gustave Flaubert, Leonardo da Vinci, Michelangelo, van Gogh, Alfred Nobel, u.v.a.m. sie alle hatten erwiesenermaßen eine Epilepsie. Man kann durchaus sagen, dass man auch mit Epilepsie zu auserordentlichen oder genialen Leistungen fähig ist. Auch wenn ich nicht zu den Genie`s gehöre, aber es gefällt mir, dass ich in gewisser Weise zu ihnen gehöre….

 

Ich bin daher sehr bemüht, aktive Aufklärungsarbeit zu leisten um hierdurch Vorurteile und Ängste abzubauen. Regelmäßige Informationsabende mit kompetenten Referenten versuchen wir Epilepsie auch für die Öffentlichkeit zu erklären. Vorurteile, Unsicherheit und Tabu`s abzubauen ist unser Bestreben.

 

Mein Leben wäre ohne Epilepsie gewiss anders verlaufen, ob es aber besser geworden wäre möchte ich bezweifeln! 

 

Von dem französischen Dichter Moliere stammt der Leitspruch unserer Selbsthilfegruppe:

 

„Wir sind nicht nur für unser Tun verantwortlich,                      

 

sondern auch für das was wir nicht tun“

 

Und daran halten wir uns.

 

 

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit

 

 

Sehr aufschlußreich fand ich die Rede von Dr. Wolf über das Thema "Dravet Syndrom" das zu den seltenen Epilepsien zählt. Auch Pof. Dr. Lerche hat über den neuesten Stand der Epilepsieforschung sehr eindrucksvoll berichtet. Für mich war das ein neues, aufschlußreiches Erlebnis.

 

Dieter Schmidt